Persönliche Haftung bei vorsätzlichen Hinauszögern der Insolvenzantragstellung einer insolventen GmbH
BGH, Urteil vom 27.07.2021 – II ZR 164/20, NZI 2021,940
In einem aktuellen Urteil, hat der BGH erneut zur Haftung von Geschäftsführern Stellung genommen und eine weitere Anspruchsgrundlage bemüht.
Es geht um einen Fall in welchem die unerkannt insolvente GmbH, die im Baugewerbe tätig war, zur Mängelbeseitigung aufgefordert worden ist sowie zur Rückzahlung von 11.000,00 €. Anschließend wurde ein selbstständiges Beweisverfahren beantragt, in dessen Rahmen der Sachverständige erhebliche Mängel feststellte. Der mittlerweile eingesetzte Insolvenzverwalter der GmbH teilte mit, dass die Insolvenzmasse nicht in der Lage sei, die Kosten für den Sachverständigen zu tragen. Der Kläger verlangt vom Beklagten, dem Geschäftsführer der GmbH, Erstattung der Kosten des Beweisverfahrens sowie Rechtsanwaltskosten und begehrt daneben die Feststellung des dem Zahlungsanspruch eine vorsätzlich unerlaubte Handlung des Beklagten zugrunde liegt.
Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Der Bundesgerichtshof erkannte hierzu wie folgt:
- Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, dass als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.
- Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung erfasst Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbstständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.
BGH, Urteil vom 27.07.2021 – II ZR 164/20, NZI 2021,940
Der BGH folgt den Vorinstanzen, stützt den Anspruch aber nicht wie diese auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a InsO, sondern nahm eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB an. Damit bejahte er gleichzeitig das von der Revision in Abrede gestellte Feststellungsinteresse des Klägers, dass bei einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aus den erweiterten Vollstreckungsmöglichkeiten gemäß § 850f ZPO folgt.
Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfülle den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen werde.
Die Sittenwidrigkeit folge regelmäßig bereits aus dem vorsätzlichen Verstoß, könne aber etwa dann entfallen, wenn der Geschäftsführer den Antrag im Bemühen um eine Behebung der Krise durch einen Sanierungsversuch unterlassen habe und dies als berechtigt ansehen durfte.
Auch liege ein ersatzfähiger Schaden vor, wenn eine Person vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit der GmbH getreten sei und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werde, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz verlangen könne.
Die Entscheidung macht deutlich, welche vielfältigen Risiken Geschäftsführer eingehen, die das unabweisbare Ende Ihres Unternehmens zum Nachteil der Gläubiger hinauszuzögern.
- Die Verletzung der Insolvenzantragspflicht ist im Fall des vorsätzlichen bzw. fahrlässigen Handelns zunächst mit Strafe bedroht.
- Darüber hinaus § 15a InsO Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gläubiger der Gesellschaft mit der Folge einer Schadenersatzpflicht des Geschäftsführers.
- Als weiterer Haftungstatbestand kommt § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB bzw. § 265b StGB in Betracht, wenn der Geschäftsführer trotz Kenntnis der Insolvenzreife weiter Geschäfte mit Dritten vornehmen.
- Schließlich kommt der hier angewandte § 826 BGB in Betracht. Die Vorschrift des § 826 BGB fungiert im Bereich der unerlaubten Handlung als Auffangtatbestand und ist maßgeblich von der Fallgruppenbildung in Rechtsprechung und Schrifttum geprägt.
- In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine wichtige Konsequenz der Vorsatzhaftung ist, dass eine gegebenenfalls bestehende D & O-Versicherung nicht greift.
- Die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung führt darüber hinaus zu erweiterten Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten nach § 850f Abs. 2 ZPO und Einschränkungen der Restschuldbefreiung gemäß § 302 Nr. 1 InsO.